Paula: in England ist vieles anders als zuhause

Erfahrungsbericht Teil 2 von Paula, die ihr Auslandsjahr mit unserem Austausch-Stipendium in England verbringt

Die Küste im Süden von England

Liebe Grüße aus Canterbury – die Hälfte ist rum und ich kann es kaum glauben. Ich habe das Gefühl, schon seit Ewigkeiten hier zu sein, da ich schon so viel erlebt habe. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die fünf Monate, die noch vor mir liegen, gar nicht mehr viel Zeit sind.

Seit meinem letzten Bericht ist sehr viel passiert. Anfang November hatte ich ja die Gastfamilie gewechselt. Bei meiner neuen Gastfamilie habe ich mich schnell eingelebt. Ich verstehe mich gut mit ihnen, auch mit meinen Gastschwestern.

Die Adventszeit in England

Meine Eltern haben mir einen Adventskalender geschickt, worüber ich mich sehr gefreut habe, vor allem weil es schon komisch war, in der Adventszeit, wo ich sonst viel mit Familie und Freunden mache, weg zu sein. Trotzdem war es interessant, mal die englischen Traditionen kennen zu lernen. In England wird meiner Meinung nach noch etwas mehr Theater um Weihnachten gemacht als in Deutschland. Schon lange vor Weihnachten ist die ganze Stadt voll mit Dekorationen. Ende November hatte meine Organisation ein Weihnachtsessen für alle Austauschschüler organisiert; zusammen fuhren wir in ein Restaurant. Es war sehr schön, alle anderen wieder zu sehen, und es hat viel Spaß gemacht. Jeder bekam einen Schokoladen-Adventskalender aus Deutschland. Mit meiner Gastfamilie bin ich für einen Abend nach London gefahren, um die Lichter anzugucken, die fast schon als Attraktion gelten.

Weihnachten in der Schule in England

Auch in der Schule gab es das so genannte ’Christmas dinner’. Die ganze Stufe saß in der großen Halle, wo es immer das Essen gibt. Es gab Musik und ein Weihnachts-Quiz. Das englische Weihnachtsessen besteht aus einem ’Sunday Roast’, welches aus gebackenen Kartoffeln (oft zusammen mit Möhren und Pastinaken), Yorkshire Pudding, Fleisch, Gemüse und Soße besteht. Das ’Sunday Roast’ wird, wie der Name schon sagt, traditionell am Sonntag gegessen. Zu Weihnachten jedoch wird das Fleisch, welches normalerweise Huhn, Rind oder ähnliches ist, durch Truthahn ersetzt, und alles ist etwas üppiger. Zum Nachtisch gibt es den so genannten Christmas Pudding, ein runder Früchtekuchen, der mit Schnaps übergossen und anschließend angezündet wird. Zum Essen bekommt jeder einen Christmas Cracker, das ist ein Papp-Bonbon, welches knallt, wenn man es auseinander zieht, und darin befindet sich eine Papierkrone, ein Witz und ein kleines Spielzeug, wie zum Beispiel ein Kreisel, Zaubertrick oder Plastikkamm. Das in der Schule einmal mit zu erleben war sehr schön, weil ich das ja überhaupt nicht kannte.

Das Deutschland-Bild der Engländer ist erstaunlich

Dann waren Ferien. Da ich ja erst später zu meiner Gastfamilie gekommen war, hatten sie für Weihnachten schon etwas geplant, weshalb ich nach Hause gegangen bin. Ich habe zunächst mit einer anderen deutschen Austauschschülerin den Tag in London verbracht, dort sind wir zum Beispiel auch ins Winter-Wonder-Land gegangen, dass ist eine Mischung aus Weihnachtsmarkt und Kirmes. Es gab viele Buden und es war wirklich sehr groß. Wir fanden das ’bayerische Dorf’ - das war ein großer Platz mit vielen Bratwurst-, Glühwein- und Bierbuden. Dazwischen war ein großes Zelt mit einem Bretzelverkaufsstand, vielen Bier trinkenden Engländern an Biertischen und vorne eine Bühne, wo Deutsche in Lederhosen „Einen Stern der deinen Namen trägt“ singen. Das war wirklich sehr lustig. Es ist generell interessant, was von den Deutschen gedacht wird. Viele denken hier dass wir andauernd Bratwurst essen, sehr viel Bier trinken und gut Fußball spielen.

Heimat-Urlaub zu Weihnachten

Am Abend bin ich mit dem IC Bus, das ist ein Fernbus der Deutschen Bahn, in Richtung Deutschland gefahren. Zu fliegen oder mit dem Zug zu fahren (ohne Begleitung) geht nicht, weil ich ja noch nicht 16 bin. Mit dem Bus habe ich allerdings gute Erfahrungen gemacht. Nette Fahrer, die bei meinem viel zu schweren Koffer ein Auge zudrücken, und angenehme Mitreisende. Weil der Bus über Nacht fährt, kann man schlafen, und so ist die elfstündige Fahrt auszuhalten. In Dover müssen alle aussteigen und der englischen und französischen Polizei den Pass vorzeigen. Mich hat gewundert, dass die Koffer nicht geprüft wurden. Dann geht es mit der Fähre bis Calais, und der Bus hält einmal in Belgien, einmal in Holland und schließlich in Düsseldorf.

Es war sehr schön, meine Familie zu sehen und Weihnachten und Silvester zuhause zu verbringen, jedoch würde ich jedem, der die Möglichkeit hat, raten, bei seiner Gastfamilie zu bleiben. Es ist eine einmalige Möglichkeit, Weihnachten woanders zu erleben, und oft gibt es andere Bräuche und Traditionen.

Weihnachten in England

In England beispielsweise ist der Tag, an dem Geschenke ausgepackt werden, nicht Heiligabend, sondern der 1. Weihnachtsfeiertag. Dieser wird ’Christmas day’ genannt, und oft versammelt sich die ganze Familie für das traditionelle Weihnachtsessen. In England gibt es auch Weihnachtsbäume, jedoch haben sehr viele englische Familien einen Plastikbaum, der oft auch sehr bunt geschmückt ist. Auch an einigen Häusern sieht man vor lauter bunten Lichtern, Weihnachtsmännern und anderen Dekorationen die Fassade nicht mehr. Am 2. Feiertag, dem so genannten ’Boxing day’, wird sich von dem ganzen Weihnachtstrubel ausgeruht. Als ich im neuen Jahr zurückgekommen bin, fiel es mir zuerst schwer, mich wieder an England zu gewöhnen. Durch die Zeit zu Hause wird der Unterschied zwischen zuhause und dem Ausland noch mal sehr deutlich, deshalb würde ich jedem raten, wenn möglich im Austauschland zu bleiben.

Nach dem Schulwechsel: Meine neue Schule

Nach den Winterferien habe ich die Schule gewechselt, da ich an meiner alten Schule trotz der netten Lehrern nicht wirklich zufrieden war. In Kent gibt es den so genannten ’Grammar School Test’, den Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit (die hier 6 Jahre beträgt) absolvieren. Wenn sie diesen Test nicht bestehen, können sie nicht auf eine Grammar School gehen, die einem deutschen Gymnasium ähnlich ist, sondern müssen auf eine normale High School oder eine Privatschule gehen. Meine alte Schule war eine High School, und ich bin mit der Atmosphäre und den meisten Leuten nicht so gut klar gekommen. Eine Mitarbeiterin meiner Organisation hatte sich dann sehr viel Mühe gegeben, sodass ich Anfang Februar zu einer Grammar School in Sandwich wechseln konnte.

In der neuen Schule gehe ich wieder in die ’Sixth Form’, also die Oberstufe, undich habe die Fächer Mathe, Französisch und Business. Der Unterricht fällt mir etwas schwer, da ich ja das erste halbe Jahr verpasst habe. Richtig Freunde gefunden habe ich auch noch nicht, aber es sind noch zwei andere Austauschschülerinnen auf der Schule, die ich von meiner Organisation kenne, und so kann ich die Pausen mit ihnen verbringen. Die Atmosphäre an der Schule ist sehr viel besser, deshalb bin ich froh, dass ich gewechselt habe.

In der ersten Woche bin ich mit dem Bus gefahren, welcher 40 Minuten brauchen soll, aber in der Praxis deutlich länger braucht, sodass ich um 3.20 Uhr frei habe und erst um 5 zuhause bin. Auf Dauer geht das für mich nicht, weil ich viele Hausaufgaben habe und außerdem ja viel nacharbeiten muss.

Deshalb habe ich in der zweiten Woche mal das Internat ausprobiert, und es hat mir gut gefallen, jedoch ist das ziemlich teuer, und auf Dauer wäre das nichts für mich, weil ich eher ein Familienmensch bin, und mich in einer Gastfamilie wohler fühle.

Gelegentlich kommt das Heimweh

Mit dem Heimweh sind das immer noch Phasen, aber es ist weniger geworden und ich habe mich mittlerweile an die andere Umgebung gewöhnt. Wenn ich Heimweh habe, sind meine Familie und meine Freunde immer sehr motivierend und aufbauend.

Ich habe regelmäßig Kontakt zu meinen Eltern, meistens, weil es etwas zu besprechen gibt. Zu meinen Freunden habe ich auch Kontakt, zu Vielen auch über Skype, jedoch weniger als normalerweise, wenn ich in Deutschland bin. Ich denke, dass es wichtig ist, vor allem Freundschaften aufrecht zu erhalten und den Kontakt zu Freunden zu halten, und diese können auch sehr hilfreich und motivierend sein, wenn es mal Probleme gibt.

Trotzdem finde ich, dass es gut ist, wenn man nicht zu viel Kontakt nach Hause hat, und den ganzen Tag vor Handy oder Computer verbringt, weil es das Lernen einer Sprache beeinträchtigt und außerdem kann man die Zeit ja auch nutzen, um etwas im Austauschland zu erleben. Den Kontakt zu meiner Familie zu halten ist mir auch sehr wichtig. Hier im Ausland habe ich gelernt, meine Familie und Freunde mehr wertzuschätzen. Gerade am Anfang, wenn man noch keine Freunde hat, lernt man, dankbar für seine Freunde und Familie zuhause zu sein.

Mein Leben in der neuen Gastfamilie

In meiner neuen Gastfamilie habe ich mich recht schnell eingelebt, jedoch werde ich ja jetzt wahrscheinlich wieder umziehen. Ich denke, dass das generelle Einleben in einer Familie schnell geht, jedoch wächst man über die Zeit mehr zusammen und lernt sich besser kennen.

Viele Freunde habe ich noch nicht gefunden, weil ich ja mit den SchülerInnen an meiner alten Schule nicht so gut zurecht gekommen bin, und an meiner neuen Schule bin ich ja noch nicht lange. Jedoch habe ich durch das Auslandsjahr auch viele deutsche Freunde gefunden, und nicht nur welche, die gemeinsam mit mir in England sind, sondern auch Leute, die ich von Vorbereitungswochenenden oder dem Stipendium kenne.

Natürlich bin ich hauptsächlich hierher hingekommen, um englische Freunde zu finden, jedoch sind mir diese Freunde auch sehr wichtig, weil sie sozusagen dasselbe durch machen, auch wenn es ganz anders ist. Ich kenne jetzt relativ Viele, die ein Auslandsjahr machen, und es ist super, diese Leute zu haben, weil sie dich immer verstehen und dir helfen können. Von all den Leuten die ich kenne, kenne ich niemanden, bei dem alles absolut perfekt ist, und ich denke, dass es wichtig ist, dass man sich darüber vor dem Auslandsjahr auch bewusst ist. Das manche Sachen manchmal nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hat, oder dass es auch mal schlechte Zeiten gibt, das gehört eben zu einem Auslandsjahr wie ein Gewitter zu einem schönen Sommer. Und irgendwas womit er nicht zufrieden ist, das hat eigentlich jeder, und man sollte immer daran denken, dass man nicht der Einzige ist, bei dem vielleicht nicht alles perfekt läuft.

In der Schule habe ich mich auch immer mehr eingelebt, und mittlerweile kann ich dem Unterricht ohne Probleme folgen. Da ich jetzt in einer neuen Schule bin, muss ich mich neu einleben, aber alle sind sehr hilfsbereit und verständnisvoll, wenn man mal einen Raum nicht findet oder nicht weiß, was zu tun ist.

Schon seit September spiele ich hier Hockey, und das macht wirklich Spaß. Mittlerweile verstehe ich mich immer besser mit den Mädchen, und wir wachsen auch als Mannschaft besser zusammen, vor ein paar Wochen haben wir das erste Mal ein Spiel gewonnen.

Mit der Sprache klappt es sehr gut, mittlerweile verstehe ich fast alles, und mit Akzenten klappt es immer besser. Auch das Sprechen funktioniert mittlerweile gut, ich kann einfach reden und muss nicht mehr auf Deutsch denken und dann übersetzen. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, mich am Telefon zu verständigen, aber auch das funktioniert jetzt gut. 

Mein Tagesablauf in England

Mein Alltag hier ist sehr anders als mein Alltag in Deutschland. Hier beginnt die Schule erst um 8.40 Uhr, und ich habe nur drei Fächer. In diesen Fächern habe ich verschiedene Lehrer, und mit den verschiedenen Lehrern behandeln wir verschiedene Themen. In Deutschland hatte ich sehr viele Fächer, und für jedes Fach nur einen Lehrer. Nachmittags habe ich immer etwas zu tun gehabt, entweder Hobbie oder ich habe mich mit Freunden getroffen. Hier ist es etwas ruhiger.

Es ist nicht so üblich, sich nach der Schule mit Freunden zu treffen, und generell habe ich das Gefühl, dass Freundschaft bei mir zu Hause eine andere Bedeutung hat als hier. Auch die Wochenenden sind sehr anders, weil ich sonst oft etwas mit Familie oder Freunden unternommen habe. Hier mache ich das zwar auch ab und zu, aber nicht so häufig.

Das englische Schulsystem ist sehr anders als das deutsche

Hier geht die Grundschule sechs statt vier Jahre, und dann wird eben der Test gemacht, der entscheidet, in welche Schule man geht. In anderen Regionen ist das anders, aber hier in Kent funktioniert das so. In der weiterführenden Schule ist es auch anders, weil es Kurse anstatt Klassen gibt. Außerdem gibt es viele Fächer, die es an meiner Schule in Deutschland nicht gibt, wie Theater, Business, Fotografie oder Ernährung und Kochen. Ende der 11. Klasse schreiben englische Schüler GCSE Prüfungen, das ist ein bisschen so wie der deutsche Realschulabschluss. Anschließend geht man entweder in die Sixth Form (Oberstufe) oder aufs College. Die Oberstufe ist auch sehr anders, weil jeder Schüler nur 3-4 Fächer hat, und in diesen machen die Schüler dann ihre A-levels (ähnlich zum Abitur). Dann können sie sich für die Uni bewerben.

Auch der Schulalltag unterscheidet sich sehr. Der Unterricht geht immer von ca. 9 Uhr bis 15 Uhr, in Deutschland hatte ich entweder von 8 Uhr bis 13 Uhr oder 16 Uhr Schule. Die Unterrichtsstunden dauern hier eine Stunde (in meiner Schule waren es 45 Minuten). Generell ist auch die Atmosphäre sehr anders, und die Schulen sind häufig in älteren Gebäuden. Außerdem werden in der Unterstufe Uniformen getragen, und in der Oberstufe gibt es einen dresscode. Ich habe etwas gebraucht, um mich an manche Umstellungen zu gewöhnen, aber ich finde es spannend, das alles zu erleben und zu sehen, wie viele Unterschiede es gibt.

Was ich mir für den Austausch noch wünsche

Von den noch kommenden Monaten erhoffe ich mir, dass ich mich gut in der Schule einlebe, hoffentlich meine Prüfungen bestehe und ein paar Freunde finde. Außerdem hoffe ich, dass wir eine passende Gastfamilie für mich finden, und dass ich mich schnell bei ihnen einlebe. Alles in allem hoffe ich einfach, dass ich noch eine gute Zeit haben werde, noch ein paar neue Orte sehe und am Ende mit meinem Auslandsjahr zufrieden bin.

Mein Tipp für euer Austauschjahr

Allen, die überlegen, ins Ausland zu gehen, würde ich auf jeden Fall raten, das zu tun, weil es eine einmalige Gelegenheit ist und unglaublich hilft, um eine Sprache zu lernen.

Was ich sehr wichtig finde ist, dass man sich nicht zu sehr mit Anderen vergleicht, da das schnell zu Enttäuschung führen kann, was oft nicht berechtigt ist, weil oft nur von den positiven Erlebnissen berichtet wird. Jeder Austauschschüler wird gute und schlechte Zeiten haben, aber das gehört einfach dazu, und ich denke, dass die allermeisten Austauschschüler am Ende froh sind, dass sie sich für das Auslandsjahr entschieden haben. Und wenn es mal nicht so gut läuft oder es Probleme gibt, nicht sofort aufgeben:

„Every dark night has a bright finish“  (englisches Sprichwort)

Bye bye from England, Paula